Moment verharrten die beiden reglos, dann zuckte Tony die Achseln. „Vielen Dank auch."
Er sagte nicht, wofür, und Henry fragte nicht nach.
Abgesehen davon, daß er sauberer war als die meisten anderen Menschen im Raum - sowohl körperlich als auch, was den Genuß von chemischen Substanzen betraf -, hätte Joe Tait, der Leiter des Zentrums, ebensogut einer seiner vielen Gäste sein können, die gekommen waren, um kostenlosen Kaffee zu trinken und sich ein oder zwei angstfreie Stunden zu genehmigen. Er hatte Ecken und Kanten, die er sich nirgends anders als auf der Straße geholt haben konnte, und sein ganzes Auftreten sagte deutlich: Ich bin keiner von denen. Womit all die gemeint waren, die ständig sagten, es müsse etwas getan werden, ohne je wirklich etwas zu tun.
„Ja - vielleicht kenne ich die beiden." Kommentarlos hatte sich Tait die Beschreibung der beiden jungen Männer angehört, die Tony gegenüber der Videothek hatte miteinander reden sehen. Nun musterte der Sozialarbeiter erst Tony und dann Henry sorgsam mit zusammengekniffenen Augen. „Warum wollen Sie die beiden finden? Stecken die Jungs in Schwierigkeiten?"
„Einer von ihnen, und wir denken, der andere kann helfen."
„Wie helfen?"
„Wir hoffen, daß er uns sagen kann, wohin sein Gefährte gegangen ist."
Tait verschränkte muskulöse Arme über der breiten Brust. „In was für Schwierigkeiten steckt der Junge?"
„In tödlichen", erwiderte Henry und gestattete dem Hunger, kurz das Haupt zu heben. Sie hatten keine Zeit, herumzustehen und mit einem Mann, dessen Mißtrauen zwar unter den gegebenen Umständen völlig angebracht, aber dennoch äußerst hinderlich war, Rätselraten zu spielen. „Ich brauche die Namen der beiden, und ich muß wissen, wo ich sie finden kann."
„Kenny und Doug." Tait gab die beiden Namen nur ungern preis. „Wo sie sind, das weiß ich nicht."
„Wer von beiden ist wer?"
„Welcher ist denn verschwunden?"
„Der weiße Junge."
„Doug also. Aber ich weiß trotzdem nicht, wo Sie Kenny finden." Taits Lippen kräuselten sich, und er wies mit einer einladenden Geste in den Raum. „Stellen Sie ruhig ein paar Fragen, aber machen Sie sich keine allzu große Hoffnungen. Diese Jungs haben keinen Grund, irgendwem zu trauen."
Henry nickte, rückte die Maske wieder zurecht und entließ den anderen. „Danke."
Als Tony sich wieder den Besuchern zuwenden wollte, schlossen sich Taits dicke Finger, die eine Unzahl schwerer Silberringe nicht im geringsten zu behindern schien, behutsam um seinen Arm. „Einen Moment noch."
Beim Klang dieser Worte war auch Henry sofort wieder an Tonys Seite, die Augen unter finsteren Brauen zusammengekniffen, aber der junge Mann winkte ihn fort. Was immer der Sozialarbeiter auch von ihm wollte, gefährlich war es hier für ihn nicht.
Tait ließ Tonys Arm los und lehnte sich mit der Hüfte gegen einen der Sperrholztische. Gemeinsam warteten die beiden, bis Henry in ein Gespräch mit einer Gruppe Mädchen vertieft war. „Alles klar bei dir?" fragte der Altere dann.
„Bei mir?"
„Ja, bei dir. Der Typ, mit dem du zusammen bist - ich kenne solche. Hier nennen wir sie Raubtiere." Tait hob eine schwielige Hand, als Tony den Mund auftat, um zu widersprechen. „Ich sage nicht, daß er nicht gut zu dir ist, aber er ist ganz offensichtlich der, der in eurer Beziehung die Macht hat."
„Das ist schon in Ordnung." Am liebsten hätte Tony hysterisch gekichert. Die Nacht war lang gewesen und war noch nicht einmal halb vorbei. „Wirklich, so ein Raubtier ist er nicht."
„Bist du sicher?"
Tony fuhr mit dem rechten Daumen über die Narbe an seinem Handgelenk. „Ganz sicher."
Niemand im Jugendzentrum schien mehr zu wissen, als sie bereits von Tait erfahren hatten. Aber Henry war überzeugt, daß drei der Leute, mit denen sie geredet hatten, sie angelogen hatten.
„Die Hälfte der Leute hier kennt die beiden wahrscheinlich vom Sehen", erklärte Tony, als Henry und er das Haus verließen. „Aber sie kennen keine Namen oder Adressen oder so. Wer auf der Straße lebt, hält sich eng an die eigenen Freunde und ist auch denen gegenüber nicht offen. Es ist einfach sicherer. Was machen wir jetzt?"
„Ich könnte warten, bis die Lügner sich verabschieden und ihnen dann draußen ganz privat ein paar Fragen stellen."